Keines der von Projektgegner:innen seit Jahren skizzierten Szenarien ist so entlarvend wie die Wirklichkeit. Und keine der maulheldenhaften Versprechungen der Befürworter:innen ist erfüllt worden. Stattdessen: immer höhere Kosten, immer längere Bauzeiten, immer mehr Zweifel an der Leistungsfähigkeit des Projekts, Dauerbelastung im ohnehin überbelasteten Talkessel. "Man muss schon ständig den Kopf in den Gully stecken, um sich nachhaltig von den Bauarbeiten in der Ruhe stören zu lassen", trompetete der damalige Bahnchef Hartmut Mehdorn 2008. Auch Wolfgang Schuster (CDU), seinerzeit Stuttgarter Oberbürgermeister, ließ sich nicht lumpen: "Von den Bauarbeiten werden wir nicht viel mitbekommen, da sie fast ausschließlich auf Bahngelände oder im Tunnel stattfinden."
Nun entstellen klaffende Baugruben das Stuttgarter Stadtbild zwar bereits seit Jahren. Dennoch sind solche Äußerungen vergleichsweise Peanuts angesichts der mittlerweile eingetretenen Tatsachen, zuletzt also auch um die Eröffnung. Wieder einmal ist klar geworden, dass zum bereits vielfach nach hinten verschobenen Termin Ende 2025 erneut kein reibungsloser Start hingelegt werden kann. Am 20. März wird sich der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn deshalb unter anderem mit zwei Alternativen befassen dürfen, die beide einem weiteren Offenbarungseid gleichkommen in der langen Reihe derselben. Erstens wird eine ratenweise Inbetriebnahme diskutiert werden, bei der der (vorhandene und funktionsfähige) Kopfbahnhof weiter genutzt wird und die Zahl der im Tiefbahnhof verkehrenden Züge behutsam angehoben wird. In diesem Fall würde also auch 2026 noch ein Kopfbahnhof-Fahrplan gelten und insofern erst einmal alles beim Alten bleiben. Die Bahn müsste sogar frisches Geld in arg sanierungsbedürftige Anlagen stecken. Die zweite Option wäre, die Eröffnung mal wieder zu verschieben.
Natürlich sind nicht alle Probleme hausgemacht. Der Angriffskrieg auf die Ukraine oder der Verkauf eines für die Digitalisierung hauptzuständigen Ditzinger Unternehmens vom französischen Mutterkonzern an Japaner, denen jetzt Personal fehlt. Bei vielen der Unwuchten spielt aber die Verwechselung von Wunsch und Wirklichkeit eine fatale Rolle. Erstmals in Deutschland werde ein Bahnknoten und damit eine ganze Region digital ertüchtigt, übt sich die Bahn immer wieder in Selbstlob. Höchstfraglich ist allerdings, bis wann.
Der erneute Verzug kommt wenig überraschend
Geplant und gebaut wird die neue herausfordernde Technik samt einer Vorbereitung auf den teilautonomen oder sogar autonomen Betrieb in drei Stufen. Unstrittig unter Fachleuten ist aber, dass erst im Endausbau bis zu den Endstationen aller S-Bahnen in der Region auch der volle Nutzen für die Leistungsfähigkeit erreicht werden kann. "Wer mit Stuttgart 21 vertraut ist, konnte kaum überrascht sein, dass der immer wieder steif und fest behauptete Eröffnungstermin niemals zu halten sein würde", heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme des "Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21". Denn ein derart hoch komplexes elektronisches Zugsteuerungssystem zu installieren, noch dazu in einem der schwierigsten Bahnknoten Deutschlands, sei nicht in wenigen Jahren zu leisten.
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Claudio
am 11.03.2024