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Krankenhausreform

Patient:innen sind Nebensache

Krankenhausreform: Patient:innen sind Nebensache
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Schon ab 2024 soll die beschlossene Krankenhausreform in Kraft treten. Der Arzt Thomas Strohschneider aus Esslingen gehört zu ihren Kritikern. Sein Hauptargument: Die Reform wird keine gute Grundversorgung für alle liefern.

Am 30. Mai 2021 unterschrieb Karl Lauterbach (SPD) höchstpersönlich die Petition des Aktionsbündnisses "Bundesweite Krankenhausschließungen jetzt stoppen". Damals war noch Jens Spahn (CDU) Gesundheitsminister. Als die Petition mit ihren 15.760 Unterschriften im Februar 2022 in Berlin im Bundesgesundheitsministerium übergeben wurde, richtete sie sich an den neuen Minister: Karl Lauterbach. Die Petition fordert im Kern, dass die von Insolvenz bedrohten Krankenhäuser vom Staat unterstützt, das Krankenhauspersonal insbesondere in der Pflege aufgestockt und das Fallpauschalen-Abrechnungssystem abgeschafft werden müssen.

Eigentlich ideal: Der Abgeordnete Lauterbach forderte etwas, das er sieben Monate später als Bundesgesundheitsminister umsetzen könnte. Stattdessen aber verkündet er seine Vorstellungen von einer "Revolution im deutschen Krankenhauswesen" und die ist meilenweit von dem entfernt, was er einmal unterschrieben hatte.

Seine von ihm eingesetzte Regierungskommission entwarf ein Papier mit dem Titel "Grundlegende Reform der Krankenhausvergütung". In der Öffentlichkeit wird dieses nun von den Protagonisten als "die bisher größte Krankenhausreform" verkauft: Es wird von einer "dramatischen Entökonomisierung", von einer "Überwindung der DRGs (Fallpauschalen)" gesprochen. Zitat Lauterbach: "Die Medizin wird in den Vordergrund der Therapie gestellt und folgt nicht mehr der Ökonomie." Große Worte, die Hoffnungen schürten. Die Erwartungshaltung war hoch. Umso dramatischer nun die Fallhöhe.

Eigentlich rechnen sich nur teure Behandlungen

Wenn es richtig ist, dass die wirtschaftlichen Probleme der Krankenhäuser, wie der Bundesgesundheitsminister jetzt sagt, durch das 2003 eingeführte Abrechnungssystem der sogenannten "Fallpauschalen" entstanden sind, stellt sich die Frage, warum es dann nicht gänzlich abgeschafft wird? Das Fallpauschalensystem bedeutet, dass eine Klinik pauschal eine festgelegte Vergütung für die Hauptdiagnose des Patienten erhält unabhängig davon, wie tatsächlich krank ein Mensch ist, ob es weitere Diagnosen gibt und welche medizinischen Ressourcen für eine Gesamttherapie aufgebracht werden müssen. Denn: Will eine Klinik nicht Verluste machen, wird sie sich vorwiegend auf die Behandlung der Hauptdiagnose konzentrieren. Der Patient wird möglichst schnell, beispielsweise aus der chirurgischen Abteilung, entlassen und im Abstand von einigen Wochen beispielsweise in die Innere Abteilung wieder aufgenommen. Mit dann neuer Hauptdiagnose. Das "Abrechnungsspiel" beginnt von vorne. Das kann sich, je nach Erkrankungsvielfalt des Patienten, mehrfach so wiederholen.

Dieses System, den Patienten in Einzelerkrankungen zu zerteilen, führte in der Vergangenheit zu einer "Drehtürmedizin". So werden zusätzliche Kosten kreiert und falsche ökonomische Anreize gesetzt. Kein Wunder, dass Deutschland in der Anzahl der stationären Behandlungen pro Einwohnerzahl international eine Spitzenstellung innehat (2019 beispielsweise 19,4 Millionen stationäre Patientenversorgungen laut dem internationalen Vergleich der stationären Versorgung, Gesundheitsberichterstattung des Bundes).

Keineswegs soll aber mit der geplanten Reform, wie das nach außen dargestellt wird, das Fallpauschalensystem nun abgeschafft werden. Es bleibt im Grundsatz bestehen. Den Kliniken werden zwar fallzahlunabhängige Vorhaltepauschalen versprochen, die aber maximal 40 Prozent ihrer Kosten ausmachen. Zum wirtschaftlichen Überleben notwendige weitere Einnahmen müssen nach wie vor aus den Erlösen der Fallpauschalen rekrutiert werden. Diese sollen aber gleichzeitig um 20 Prozent abgesenkt werden. Es bleibt weiterhin der Anreiz: Mehr "Fälle" bedeuten mehr Geld. Der Deckel bleibt also drauf, es wird kein Cent mehr in das System fließen. Es ist das Prinzip "rechte Tasche – linke Tasche".

Die Chance, das Pauschalabrechnungsystem abzuschaffen und mit angepassten Pauschalierungen ein gut ausgeklügeltes Selbstkostendeckungsprinzip einzuführen, wie es von Experten verschiedener Verbände detailliert ausgearbeitet und vorgeschlagen wurde, wird mit dieser geplanten Reform vertan. Aber vielleicht durfte man auch nicht erwarten, dass Lauterbach sich tatsächlich vom Saulus zum Paulus wandelt – schließlich war er wesentlich daran beteiligt, dass vor 20 Jahren dieses sogenannte DRG-System eingeführt wurde. Und welcher Politiker gesteht schon ein, dass er in der Vergangenheit einen großen Fehler gemacht hat?

Praktiker:innen fehlen bei den Beratungen

Allein schon die Zusammensetzung der Regierungskommission ließ viele skeptische Beobachter:innen Schlimmstes befürchten. Von 17 Mitgliedern (mit Lauterbach 18) haben nur drei keinen Professorentitel. Sie werden von Lauterbach als "unabhängige Experten" gelobt: Es sind Jurist:innen, Gesundheits-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler:innen, Qualitätsmanager:innen, Pharmakologen und einige Mediziner, die entweder in hochspezialisierten Fachbereichen tätig sind oder seit Jahren nichts mehr mit der Basismedizin zu tun haben. Interessanter noch ist, dass in der Kommission keine Vertreter:innen sind aus Krankenhausgesellschaften, Ärztefachverbänden, kommunaler oder freigemeinnütziger und kirchlicher Krankenhäuser, keine Krankenkassen- oder Patientenvertreter:innen.

Sehr wohl aber Mitglieder, die bei privaten Klinikkonzernen in Lohn und Brot stehen. Dabei tauchen bekannte Namen auf. Etwa Professor Reinhard Busse, Gesundheitsökonom an der TU Berlin, der schon in verschiedenen Regierungskommissionen saß und federführend Studien wie die der Bertelsmann-Stiftung von 2019 leitete, die vorschlug, von den damals 1914 Krankenhäusern in Deutschland etwa 800 zu schließen. Das werde zu einer besseren Qualität bei der Patientenversorgung führen. Auch Lauterbach hatte 2019 getwittert, dass "die Hälfte der Deutschen Kliniken überflüssig sei".

Die Regierungskommission hat nun vorgeschlagen, Kliniken in Levels einzuteilen. Wenn das so umgesetzt wird, ist das nichts anderes als der raffinierte Versuch einer kalten Strukturreform: nämlich Klinikschließungen durch die Hintertür. Kliniken sollen in 3 Stufen eingeteilt werden je nach Versorgungsauftrag, medizinischer Kompetenz und Ressourcen. Ein im Grunde zu lobender Ansatz, besonders was die Qualität für die spezialisierte Hochleistungsmedizin betrifft. Wäre da nicht der Level 1, also die unterste Stufe. Diese wird noch einmal aufgeteilt in eine Stufe 1i (integrierte ambulante/stationäre Grundversorgung). Vor allem auf dem Land und in strukturschwachen Regionen sind das dann "Krankenhäuser", die keine Notfall- und Grundversorgung, die keine ärztliche 24-Stunden Rundumversorgung mehr anbieten werden, also zu einer Art besserer Belegklinik oder Pflegeheim degradiert sein werden. Nach Berechnungen von Experten wären etwa 650 Kliniken in Deutschland davon betroffen. Häuser der Stufe 1i sind aber, wenn man ehrlich ist, im ursprünglichen Sinn keine Krankenhäuser mehr. Geplant ist, dass Patienten in diesen "Kliniken" in der Nacht oder am Wochenende beispielsweise von Pflegekräften oder von Hausärzten versorgt werden sollen. Wie das bei dem jetzt schon bestehenden Hausärztemangel gerade in ländlichen Regionen bewerkstelligt werden soll, ist unklar. Warum man diese Einrichtungen dann noch Kliniken nennen soll, bleibt das Geheimnis der Kommission.

Kliniken sterben vor und nach der Reform

Lauterbach bezeichnet seine Reform als alternativlos und zwingend notwendig. Ansonsten komme es "zu einem unkontrollierten Kliniksterben", das er mit dieser Reform zu verhindern versuche. Gleichzeitig befürchtet er, dass viele Kliniken bis zur Umsetzung und dem Wirksamwerden der Reformmaßnahmen wegen Insolvenzen schließen müssen.

Tatsächlich sehen sich laut Deutscher Krankenhausgesellschaft nahezu 70 Prozent der Krankenhäuser in finanzieller Schieflage bis hin zur Insolvenzgefährdung. Sorgen bereiten ihnen vor allem die massiv angestiegenen Betriebs- und Energiekosten sowie der fehlende Inflationsausgleich. Das zur Verfügung stehende Geld reicht nicht aus.

Also scheint das Kalkül der Schließungsbefürworter zu sein: Wenn genügend Kliniken vom Netz genommen werden, sinken die Kosten. Ob es die richtigen oder falschen Krankenhäuser trifft, ist dabei offensichtlich nicht so wichtig. Ob Kliniken unbesehen ihrer wirtschaftlichen Situation für eine wohnortnahe Daseins- und Grundversorgung der Bevölkerung vorgehalten werden sollten, spielt keine Rolle.

Dass viele Kliniken diese Krankenhausreform, die sich frühestens in zwei, drei oder mehr Jahren auswirken wird, gar nicht mehr er- bzw. überleben werden, scheint eingeplant und gewollt. Wie sonst lässt es sich erklären, dass über Ausgleichs- oder Unterstützungsfinanzierungen in der akuten Notlage sowie über notwendige Klinikrettungen kein Wort verloren wird? Es ist schwer zu ertragen, dass gerade ein SPD-Minister sehenden Auges dieses Kliniksterben quasi vorhersagt und begleitet, ohne geeignete Rettungsmaßnahmen vorzuschlagen.

Gewinne für Investoren

Ein Punkt wird in Lauterbachs Reformpapier überhaupt nicht diskutiert: dass nämlich fast 40 Prozent der deutschen Krankenhäuser zwischenzeitlich international agierenden Konzernen gehören, die beispielsweise zu 100 Prozent Tochterunternehmen großer Pharmaunternehmen oder im Besitz privater Krankenkassen sind. Diese schütten ihren Shareholdern und Aktionären durch Gewinnbeteiligungen bis zu 15 Prozent Renditen aus. So kommt es zu einem jährlichen Geldabfluss von mehreren hundert Millionen Euro aus unserem Gesundheitswesen. Also Einnahmen und Gewinne, die wegen der Versicherungspflicht regelmäßig und berechenbar ohne Ausfallrisiko aus unseren Krankenkassenbeiträgen fließen.

Um Gewinne zu machen, versuchen sich diese privatwirtschaftlich geführten Häuser in erster Linie auf planbare, gut abrechenbare und Gewinn verheißende medizinische Sparten zu konzentrieren. Andere, Kosten und Verlust verursachende Bereiche überlässt man lieber staatlichen oder gemeinnützigen Trägern. Aus Sicht eines Wirtschaftsunternehmens ist das sogar logisch. Krankenhäuser sollten aber in erster Linie der Gesundheitsversorgung der Menschen dienen und nicht primär als Wirtschaftsunternehmen fungieren.

In dem Reformvorschlag weiter eingeplant ist der Ersatz vor allem kleinerer Kliniken auf dem Land durch Gesundheits- oder sogenannte Medizinische Versorgungszentren (MVZ). Auch hier reiben sich schon private Investoren und Private-Equity-Gesellschaften die Hände und setzen auf einen lukrativen Zukunftsmarkt. Arztpraxen werden als Spekulationsobjekte aufgekauft und in Praxiskonzernen fusioniert. Beim Weiterverkauf kann man dann kräftig absahnen.

Unter dieser maximal profitorientierten Vorgehensweise entfernen sich Krankenhäuser und Arztpraxen zunehmend von ihrer eigentliche Kernaufgabe, nämlich der Daseinsvorsorge der Bevölkerung zu dienen. Es ist zu befürchten, dass bei Umsetzung der angedachten Krankenhausreform die Ökonomisierung des Gesundheitssystems weiter vorangetrieben statt gestoppt wird. Wägt man das vorgeschlagene Gesamtinstrumentarium der hoch angepriesenen Krankenhausfinanzierungsreform in allen Facetten kritisch ab, bleibt dafür nur ein Wort: Etikettenschwindel!


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