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Villa Berg in Stuttgart

Was darf's sein?

Villa Berg in Stuttgart: Was darf's sein?
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Noch immer ist die Villa Berg nicht wachgeküsst. Die nach Kriegszerstörungen vom Süddeutschen Rundfunk umgebaute Stuttgarter Königsvilla, ein Kulturdenkmal ersten Ranges, steht seit 19 Jahren leer. Es gibt noch Klärungsbedarf.

"Nun kommt endlich Bewegung in die Sache", schrieb Kontext im November 2022. Sechs Jahre waren da seit dem Rückkauf der Villa Berg durch die Stadt Stuttgart vergangen. Damals beschloss der Gemeinderat einstimmig das Nutzungs- und Betriebskonzept, und ein halbes Jahr später heißt es in einer Gemeinderatsvorlage, dass "die baulichen Planungen nun mit vollem Tempo vorangetrieben werden können".

Und doch schläft die Villa noch immer ihren Dornröschenschlaf. Wurzelwerk drückt die Sandsteinstufen empor. Selbst die farbigen Platten vor den Fenstern, die signalisieren sollten, dass etwas passiert, sind mittlerweile ein wenig gealtert. "Es ist ein Schande, diese Villa verkommen zu lassen", meint ein Facebook-Kommentator. "Das hat sie nicht verdient", fügt ein anderer hinzu.

Der Stich von Johann Poppel zeigt die Villa im Jahr 1849. Foto: gemeinfrei, Link

Das verlotterte Kleinod

1846 von Kronprinz Karl und Zarentochter Olga erbaut, ist die Villa Berg eines der ersten Neorenaissance-Bauwerke in Deutschland. Nach Erwerb durch die Stadt wurden Villa und Park in den 1920er-Jahren erstmals öffentlich zugänglich. Die Villa enthielt nun unter anderem ein Café und eine Gemäldegalerie. Im Zweiten Weltkrieg ausgebrannt, ging sie an den Süddeutschen Rundfunk (SDR ), der nur die Außenwände stehen ließ und den Architekten Egon Eiermann beauftragte, einen Konzert- und Sendesaal einzubauen mit einer Orgel des führenden Orgelbauers Walcker. 2007 verkaufte der Sender die Villa an die Häussler-Gruppe. Seitdem steht sie da in ihrem schönen Park und gammelt vor sich hin. Häussler ging pleite und als auch der nächste Investor nichts unternahm, kaufte die Stadt die Villa 2015 wieder zurück.  (dh)

Trotzdem hat die CDU-Stadtratsfraktion im Januar beantragt, abweichend vom Gemeinderatsbeschluss "ab sofort keine weiteren Schritte in Sachen der baulichen Umsetzung des bisherigen Nutzungskonzepts" der Villa Berg mehr in Gang zu setzen. Und auch die Fraktion Puls, die zwar mit Grünen und SPD einen Gegenantrag gestellt hat, schreibt auf ihrer Facebook-Seite unter der Überschrift "Keine Villa-Wünsch-Dir-Was", man sei bei der Planung "eher ein kleines Stück zu weit gegangen".

Es geht ums Geld

Dabei hatten Thorsten Puttenat und Deborah Köngeter von Puls zu den treibenden Kräften der Initiative Occupy Villa Berg gehört, die die Stadt dazu bewegt hat, die leerstehende Villa Ende 2015 zurückzukaufen. Nach einer vorbildlichen Bürgerbeteiligung gab der Gemeinderat eine Machbarkeitsstudie in Auftrag. Die Beratungsagentur Metrum stellte fest, dass in Stuttgart ein Konzertsaal mittlerer Größe fehle. Unter den drei Varianten der Studie entschied sich der Gemeinderat für die umfangreichste mit 4.000 Quadratmeter Nutzfläche. Die Villa selbst verfügt nur über 1.500. Ein "Offenes Haus für Musik und Mehr" soll sie nun werden, so lautet der Beschluss. Das Kulturamt soll die Regie übernehmen.

Zwei erste Entwürfe, die das beauftragte Architekturbüro Atelier Brückner im September vorigen Jahres vorstellte, stießen zunächst auf Zustimmung, dann aber auch auf Kritik: Vor allem die Ost-Variante, ein gewellter Baukörper auf einem Sockel, schien das Volumen der Villa noch einmal zu verdoppeln. Die CDU fordert: "Keine weiteren großen Bauwerke in den historischen Park hineinbetonieren". Die andere, die Nord-Variante, sah einen niedrigeren Anbau in Richtung der von Rolf Gutbrod entworfenen Rundfunkgebäude aus den 1950er-Jahren vor, wo schon an die ursprüngliche, historische Villa Berg zwei Flügel angebaut waren.

Mittlerweile hat das Atelier Brückner allerdings zwei neue Varianten vorgelegt, die das geforderte Raumprogramm deutlich unauffälliger unterbringen. Sabine Birk und Eberhard Schlag vom Atelier Brückner haben die Pläne kürzlich in einer öffentlichen Sitzung des Gestaltungsbeirats vorgestellt: Die Ost-Variante besteht nun nur noch aus einem kleinen, eingeschossigen, quadratischen Kubus gegenüber der Nordostecke der Villa; der Saal ist in den Untergrund gewandert. Die Nordvariante lehnt sich mit zwei angebauten Flügeln und vier angedeuteten Ecktürmen an den historischen Zustand an. Die Villa bleibt der Star, wie es im CDU-Antrag heißt, und das Raumprogramm findet trotzdem Platz.

Ist damit nun alles geklärt? Nicht ganz. Was die Gemeinderäte erschreckt hat, war nicht nur das Bau-, sondern auch das zu erwartende Kostenvolumen. Im Zuge der Haushaltsberatungen machte die Zahl 170 Millionen Euro die Runde. Das bezog sich allerdings nicht allein auf die Villa, sondern auch auf die Instandsetzung des Parks und der Tiefgarage unter der steilen Terrasse auf der Südseite, in die seit langer Zeit Wasser eindringt, weshalb auch die Brunnenanlagen darüber abgestellt wurden. Hier muss ohnehin etwas geschehen.

Zu viele Kultur-Großprojekte?

Die Villa Berg ist nicht das einzige große Kulturprojekt der Stadt. "Mehr als zwei Milliarden Euro Kosten" errechneten die "Stuttgarter Zeitung/ Nachrichten" für alle zusammen. Von dieser Summe würden demnach allerdings nur fünf Prozent, etwa 100 Millionen Euro, in die Villa Berg fließen, ohne Tiefgarage und Park. Der städtische Anteil an der Opernsanierung beliefe sich dagegen auf 534 Millionen, der geplante Neubau der Schleyerhalle auf mindestens 225 Millionen und ein Konzerthaus, mit dem eine Initiative die Hamburger Elbphilharmonie in den Schatten stellen möchte, auf bis zu 600 Millionen Euro.

Bei den genannten Zahlen für die Villa Berg handle es sich um eine erste, grobe Prognose, erklärt Sabine Birk. Zu einer etwas genaueren Kostenschätzung könne man erst gelangen, wenn die Entwürfe weiter ausgearbeitet seien, zu einer verlässlichen Berechnung erst, wenn genau feststeht, was gebaut werden soll. Dazu kommt bei einem in der Nachkriegszeit umgebauten historischen Gebäude, dass zuerst noch die Substanz untersucht werden muss, bis hin zur Statik und den Fundamenten.

Hier kann man nun fragen: Warum ist das nicht längst geschehen? Liegt es an der Trägheit der Verwaltung? Oder am Fachkräftemangel? Bereits seit 2018 gibt es ein Parkpflegewerk, das den historischen und aktuellen Zustand der 20 Hektar großen Anlage beschreibt, samt Bestands-, Detail-, Wiederherstellungs- und Pflegeplänen und bis hin zu einer Einzelbeschreibung aller 1.560 vorhandenen Bäume. Trotzdem sind erst vor einem Jahr erste Aufträge an die Überlinger Landschaftsarchitekten Planstatt Senner vergeben worden.

Jupiter und Antiope müssen warten

Lüstern blickt Zeus in Gestalt eines Satyrs auf die ohnmächtige, halb entblößte Antiope in seinem Arm. Die Marmorgruppe des Tessiner Bildhauers Francesco Pozzi, 1828 entstanden noch bevor die Villa Berg erbaut wurde, befand sich früher in der Westgrotte der Villa. Vom SWR versteigert, hat die Stadt die Skulptur vor drei Jahren zurückerworben: zum vierfachen Preis. "Der total beknackte Jupiter-Deal", titelte die Bildzeitung. Seitdem warten Jupiter und Antiope im Alten Schloss darauf, nach der Sanierung der Villa an ihren angestammten Platz zurückkehren zu können.  (dh)

Der Park ist in zehn Abschnitte unterteilt. Ziel ist, die ersten beiden in Richtung der ehemaligen Fernsehstudios fertig und benutzbar zu machen, bis die Arbeiten an der Villa beginnen. Am Bauzaun steht: bis Ende diesen Jahres. Es folgen der Westgarten und die Brunnenterrassen. In diesen vier Abschnitten muss zwingend etwas geschehen, so wie auch an der denkmalgeschützten Villa nach dem langen Leerstand, ganz unabhängig von der Art der Nutzung, unvermeidlich viele Arbeiten anstehen: von den Treppenstufen außen über die Restaurierung der demolierten Orgel bis hin zum Wasserschaden in der oberen Etage.

Im Moment können die Architekt:innen allerdings gar nicht weiter planen, da die vom Stadtrat bewilligten Planungsmittel aufgebraucht sind. Weitere Schritte können erst erfolgen, wenn der Gemeinderat die Mittel freigibt.

Kein zurück auf Null

Und wie geht es nun weiter? Am 18. März findet ein Workshop statt mit den Architekt:innen, dem Bauherrn, also dem Stadtplanungsamt, dem Kulturamt und der Projektgruppe Villa Berg, in der engagierte Bürger:innen das Vorhaben seit vielen Jahren begleiten. Die Ergebnisse sollen schon am folgenden Tag im Ausschuss für Stadtentwicklung und Technik (STA) diskutiert werden. Das geht wohl nur, wenn sich alle schnell einig werden.

Es muss sich erst noch zeigen, ob sich das Raumprogramm so reduzieren lässt, dass sich nennenswerte Einsparungen ergeben, ohne vom beschlossenen Nutzungskonzept abzuweichen. Wenn das nicht geht, müsste hier noch einmal von vorn angefangen werden. Dazu hat jedenfalls die CDU im Bezirksbeirat Ost, etwas abweichend von der Gemeinderatsfraktion der Partei, klar Stellung bezogen: "Ein zurück auf Null kann und darf es nicht geben."

Im Nutzungskonzept sind zwei Säle vorgesehen: ein großer, der frühere Große Sendesaal in der Villa selbst, und ein kleinerer, der in den neuen Entwürfen jetzt in den Untergrund gewandert ist. Diesen wegzulassen, würde vor allem zulasten der Bürger gehen oder zulasten der Einnahmen aus den Konzertveranstaltungen. Denn dieser kleine Saal ist vor allem für die Bürgerschaft vorgesehen: für Vorträge, Diskussionen, Versammlungen und anderes mehr. Wenn es dafür keinen eigenen Raum gibt, müssten diese ebenfalls im Sendesaal stattfinden, das heißt, sie konkurrierten mit dem Konzertbetrieb.

Von ein paar Büros und für den Backstage-Betrieb unverzichtbaren Räumen abgesehen, gibt es in der Villa selbst nicht sehr viel Platz. Offen ist noch, wo die Gastronomie hinkommt und wie groß sie werden soll. In den bisherigen Entwürfen sind ein Café und ein Restaurant vorgesehen, an verschiedenen Stellen je nach Variante. Sie könnten, wenn sie räumlich verbunden sind, auch von einem einzigen Betreiber geführt werden. Hier zu viel zu sparen, wäre kontraproduktiv, denn das verringert die möglichen Pachteinnahmen und limitiert den in dieser traumhaften Lage sicher zu erwartenden Besucherandrang.

An der Sanierung sind jedenfalls keine Einsparungen möglich. Und wo sonst, wird sich erst entscheiden lassen, wenn die einzelnen Komponenten genauer beziffert sind. Bei der Oper, die zehnmal so teuer veranschlagt ist, weigern sich die Beteiligten bis heute, so weit ins Detail zu gehen. Da heißt es: alles oder nichts.

Wenn die Stadt bei Kulturbauten sparen will, sollte sie das nicht dort tun, wo in einem langen Prozess, der aus der Bürgerschaft kam und die vorbildlich einbezogen war, gut durchdachte Beschlüsse gefasst wurden. Sondern bei auch aus anderen Gründen umstrittenen Projekten, die auch viel höher zu Buche schlagen wie dem Abriss und Neubau der Schleyerhalle oder einem großen, prestigeträchtigen Konzerthaus.

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4 Kommentare verfügbar

  • Stefan Thomas
    am 13.03.2024
    Antworten
    Diese Stadt wird tatsächlich auf allen Ebenen gelähmt von einer wortwörtlich untätigen Verwaltung, deren MitarbeiterInnen an Trägheit nicht mehr zu überbieten sind.
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