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Untersuchungsausschuss Polizeiaffäre BW

Karriereschach

Untersuchungsausschuss Polizeiaffäre BW: Karriereschach
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Nur die Besten besetzen Führungsämter im öffentlichen Dienst der Bundesrepublik. So will es das Grundgesetz. Bei Baden-Württembergs Polizei wird der zu Grunde liegende Artikel 33 jedoch reichlich gedehnt, zeigt die jüngste Sitzung des parlamentarischen Untersuchungsausschusses.

Bald sind die Abgeordneten, die die Brief-Affäre von Innenminister Thomas Strobl (CDU), Beförderungen bei der Polizei, den Aufstieg des vom Dienst suspendierten Inspekteurs (IdP) Andreas Renner und mögliche sexuelle Übergriffe durchleuchten wollen, seit zwei Jahren an der Arbeit. In die 23. öffentliche Sitzung zu Wochenbeginn bringt der frühere Landeskriminaldirektor Klaus Ziwey viel Erfahrung mit. 1982 trat er in den Polizeidienst ein. Bei seiner Verabschiedung in den Ruhestand im August vorigen Jahres lobte ihn Innenminister Thomas Strobl (CDU) als eine "herausragende Persönlichkeit mit versiertem kriminalistischem Sachverstand und hervorragenden Führungsqualitäten". Zuletzt war der heute 61-Jährige kommissarisch sogar als IdP tätig, weil er für Renner einspringen musste.

Ziwey macht in seiner mehrstündigen Vernehmung deutlich, dass in den lichten Höhen wichtiger Ämter neben der Bestenauslese andere Aspekte und Kriterien zum Zuge kommen: Wenn ein Personaltableau konstruiert werden soll, dann wird austariert und herumgeschoben, Kandidat:innen werden zur Aufgabe oder zur Neubewerbung bewegt – natürlich immer nur in bester Absicht, etwa um auf eine Pensionierungswelle auf einer der Führungsebenen richtig zu reagieren.

Ein Schelm, der Böses dabei denkt: Als Beleg für die Notwendigkeit dieser Art Karriereschach fällt dem Zeugen ausgerechnet das Defizit an weiblichen Führungskräften ein. Es gebe viele Frauen, die "eine echt klasse Leistung" abliefern, es gebe aber immer noch viel zu wenige in Spitzenpositionen. Seit Kurzem sind es übrigens drei: Zur Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz und der Karlsruher Präsidentin Caren Denner kommt die Ziwey-Nachfolgerin Sandra Zarges als Landeskriminaldirektorin.

CDU wollte sich mit Renner Einfluss sichern

Mit solchen Hinweisen lenkt der pensionierte Spitzenbeamte allerdings davon ab, wie Renners Karriere zunächst als Vizepräsident im Landeskriminalamt (LKA) und dann als IdP an Grundregeln vorbei vonstattenging. Erst kürzlich legten die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags in einer Ausarbeitung zu Stellenbesetzungen dar, dass "weitere Kriterien" nach Maßgabe der Bestenauslese im Artikel 33 erst dann herangezogen werden dürfen, wenn "Bewerber in Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung als gleichermaßen qualifiziert für das zu besetzende Amt anzusehen sind". Es sei im Fall des IdP aber gar nicht um die Auslese des Besten gegangen, sagt Sascha Binder, der SPD-Obmann im Ausschuss, "sondern darum, dass zum Schluss nur einer übrig bleibt". Und zwar Strobls ausdrücklicher Favorit Andreas Renner.

Oben auf der Karriereleiter

Andreas Renner hat einen beispiellosen Aufstieg an die Spitze der baden-württembergischen Polizei hingelegt. 2017 wurde er als stellvertretender Landeskriminaldirektor ans Innenministerium unter Thomas Strobl (CDU) berufen. Zwei Jahre später erfolgte der Aufstieg zum stellvertretenden Präsidenten des Landeskriminalamts. Im November 2020 wurde Renner im Alter von 47 Jahren zum jüngsten Inspekteur der Polizei (IdP) in der Landesgeschichte. Doch nach nur einem Jahr im Amt wurde er suspendiert, weil er sich vor Gericht gegen den Vorwurf der sexuellen Nötigung verantworten muss.

Entscheidend begünstigt wurde Renners Aufstieg durch ein Netzwerk von Sympathisant:innen. Bei der Suche nach einem neuen IdP war Renner der Wunschkandidat einflussreicher CDU-Funktionäre. Eigentlich sollen Beamt:innenposten strikt nach Qualifikation vergeben werden. Im Fall Renners gab es keine Konkurrenz um das Amt – weil alle potenziellen Mitbewerber:innen im Vorfeld über die Aussichtslosigkeit ihrer Kandidatur informiert worden waren, unter anderem von der Polizeipräsidentin Stefanie Hinz persönlich.  (min)

Bestätigt wird einmal mehr in dieser Sitzung der herausragende Leumund des Aufsteigers bis zum tiefen Fall. Auch Ziwey lobt ihn als "superkorrekt in Auftreten und Rhetorik". Zudem erklärt er die Ernennungen mit einem Umstand, der ebenfalls nur unter "weitere Kritieren" bei Eignungsgleichheit mit anderen Bewerber:innen hätte herangezogen werden dürfen, nämlich sein Alter, genauer: die Jugend, die für Kontinuität hätte sorgen können, weil er das Amt des IdP noch lange innegehabt hätte. Ein Aspekt, der übrigens in der CDU ebenfalls eine große Rolle gespielt haben soll. Vom heutigen Staatssekretär im Justizministerium Siegfried Lorek (CDU) wird über seine Bemühungen in der vergangenen Legislaturperiode berichtet, der Spitzenkandidatin Susanne Eisenmann und ihrem Wahlkampfmanager Manuel Hagel (beide CDU) Renner anzupreisen. Unter anderem mit dem Argument, durch ihn sei der höchste Posten für uniformtragende Polizeibeamt:innen auf sehr lange Zeit in CDU-Hand.

Ein spezielles Licht wirft der Zeuge Ziwey eher indirekt auf die Entscheidung des Innenministeriums im Juli 2023, die herausgehobene Funktion des Polizei-Inspekteurs ganz abzuschaffen. Er berichtet, wie er seine Aufgaben als Landeskriminaldirektor sofort auf Mitarbeitende verteilte, als Renner wegen des Verdachts sexueller Übergriffe gehen musste und er selbst für zwei Jahre der Interimsnachfolger wurde. Nach bestem Wissen und Gewissen habe er das Amt auszufüllen versucht, beteuert er. Und er sagt: "Wenn im Führungsbereich eine Person fehlt, laufen die Dinge nicht mehr rund."

Wie schön: Betreuung für Renner

Ziweys Vernehmung geht weiter am 11. März – in nichtöffentlicher Sitzung, bei der es um etliche als geheim eingestufte Akten gehen wird. Möglicherweise wird er da Rede und Antwort stehen müssen auch zu einer bislang öffentlich nicht diskutierten Konsequenz aus dem Fall Renner. Ziwey hatte den Auftrag, Kontakt mit dem Suspendierten zu halten. Nach einigen Monaten habe er den Eindruck gewonnen, der sei psychisch stabil, aber definitiv im Glauben, auf seinen Posten zurückzukommen. Öffentlich bisher überhaupt keine Rolle spielt dagegen die Frage, wie es der Beamtin geht, die die Anzeige erstattet hatte. "Das ist eine merkwürdige Umkehr von Täter und Opfer", kritisiert SPD-Obmann Binder. Der Täter werde betreut, die andere Seite, das mutmaßliche Opfer, aber nicht und komme "deutlich zu kurz".

Und noch ein Thema wird in den weiteren Ausschusssitzungen im Laufe dieses Jahres aufgerufen werden: der Umbau an der Spitze der Polizei. Die neue Struktur müsse mit Inhalten gefüllt werden, verlangt FDP-Obfrau Julia Goll. Ihrer Ansicht nach habe die Vernehmung Ziweys deutlich gemacht, "dass offensichtlich die Zuständigkeiten in der Landespolizeiführung schon länger unklar sind". Es existierten Doppelstrukturen, die Aufgabenverteilung sei diffus. Auch der Schnellschuss des Ministers im vergangenen Jahr, das Amt des Inspekteurs abzuschaffen, habe bislang nichts bewirkt.

Vorgelegt hat die Landesregierung jedenfalls einen Gesetzentwurf, der nicht nur die Abschaffung des IdP auf eine rechtliche Basis stellt. "Das Amt der Landespolizeivizepräsidentin bzw. des Landespolizeivizepräsidenten als ständige Vertretung der Landespolizeipräsidentin bzw. des Landespolizeipräsidenten wird eingerichtet" und außerdem ein Stab sowie für dessen Leitung "das Amt mit der Amtsbezeichnung Stabsdirektorin bzw. Stabsdirektor geschaffen", heißt es weiter, einigermaßen umständlich, aber zumindest per Verwendung der Paarform korrekt gegendert.

Begreiflicherweise steht die Besetzung der neuen Positionen unter ganz besonderer Beobachtung – damit tatsächlich die Besten zum Zuge kommen. Und zumindest möglich ist bei entsprechender "Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung" eine historische Zäsur. Baden-Württembergs Polizei könnte eine weibliche Doppelspitze bekommen und Stefanie Hinz keinen Stellvertreter, sondern eine Stellvertreterin.

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3 Kommentare verfügbar

  • Frieder Kohler
    am 01.03.2024
    Antworten
    Wie können wir behalten, was Frau Hamm-Brücher zutreffend beklagte, Hans Herbert von Arnim über die Entmachtung der Bürger schrieb und bewies, dass der Staat zur Beute der Parteien wurde? Präsentierte der frühere Bundespäsident von Weizsäcker nicht auch den Hinweis auf diese Aussagen? Erinnern Sie…
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