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Stimmen und Vernunft

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Manche Dinge sind unbezahlbar. Zum Beispiel echte Freundschaft, eine Wohnung in Stuttgart oder dieses Bild von Niels Foitzik: Der 32-jährige AfD-Politiker, laut seiner Partei "Die Stimme der Vernunft", soll in Thailand mehrfach ausgerastet sein, offenbar hat er mit Tellern und Essen herumgeworfen, bis die Polizei einschritt. Eine Aufnahme zeigt Foitzik oberkörperfrei mit einem kunterbunten Handtuch um die Schultern, die Halbglatze mit einem Fischerhut verhüllt, wie er zusammengesackt auf einem Stuhl sitzt und mit offenstehendem Mund und benebeltem Blick in eine Kamera guckt. "Die Polizei in Thailand geht davon aus, dass der AfD-Politiker eine zu große Menge Drogen konsumiert hat", berichtet die "Bild"-Zeitung. Weil Foitzik nur einen Tag später schon wieder Krawall anzettelte, musste ihn die Polizei erneut festsetzen und nun haben die Behörden die Schnauze voll von dem delinquenten Ausländer: Laut "Bild" wurde nicht nur Foitziks Hut beschlagnahmt, die deutsche Botschaft in Bangkok bereite gerade seine Abschiebung vor. Wer das Foitzik-in-Thailand-Video sehen will, bitte hier entlang.

Ab Juni könnte der Mann im Stuttgarter Gemeinderat sitzen. Bei den bevorstehenden Kommunalwahlen tritt er auf Platz vier der AfD-Liste an, damit stehen seine Chancen gut. Groß aufgefallen ist Foitzik im stadtpolitischen Geschehen bislang nicht. In der AfD ist er seit 2020 aktiv – Anlass sei die vermeintliche Erkenntnis gewesen, dass die "Altparteien wirklich nur noch zur ihren eigenen Vorteilen und für den Machterhalt um jeden Preis lügen", also habe er begonnen, "tiefer zu graben". Und siehe da: "Ich verstand, dass die Grüne Bewegung gegen Stuttgart 21 keinen weiteren Nutzen hatte, als einen Grünen Oberbürgermeister zu installieren und eine Linksgrüne Landesregierung zu etablieren", will er herausgefunden haben. Als er dann auch noch Cem Özdemir reden hörte, erkannte er angeblich, "dass es nicht an mir liegt, dass sich alles in der politischen und öffentlichen Welt so verrückt anfühlte". Nachdem er das, wie er es nennt, "verstanden" hatte, "wurde Vieles einfacher und ich brauchte nicht mehr an meiner Wahrnehmung verzweifeln". So gesehen, wenn wir mal unvoreingenommen drüber nachdenken, so ganz ohne ideologische Scheuklappen … kann Thailand den auch gerne behalten.

Es gibt nämlich schon genug Rechte im Land, mehr brauchen wir nicht, die Belastungsgrenze ist erreicht. Wie umgehen mit den viel zu vielen, die eh schon da sind?, fragen sich auch die demokratischen Parteien – und im sächsischen Gohrisch kamen ein CDU- und ein Grünen-Gemeinderat auf die Idee, mit einem AfDler eine gemeinsame Fraktion zu gründen. Es ist einer von den 121 Fällen, die Anika Taschke und Steven Hummel für die Rosa-Luxemburg-Stiftung dokumentiert haben, in denen sich die Rede von der Brandmauer als Lippenbekenntnis entpuppt hat. Kürzlich waren Taschke und Hummel in Stuttgart – nicht nur, um ihre Ergebnisse vorzustellen, sondern auch um Tipps für die Praxis zu geben.

Dass es grundsätzlich keine gute Idee ist, rechte Hetzer, die mit Falschinformationen Stimmung machen, aufzuadeln, indem man sie als seriöse Gesprächspartner präsentiert, ist ein Ratschlag unserer Redaktion an alle Kolleginnen und Kollegen. Und damit wären wir noch einmal bei der Absage von Kontext-Chefin Anna Hunger, die bei den Medientagen Mitteldeutschland in Leipzig eingeladen war, um über alternative Medien zu diskutieren. Allerdings wird auf dem entsprechenden Podium auch Ex-"Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt sitzen, der heute für die Schundschleuder "Nius" verantwortlich ist. Ob es sich bei dem Portal überhaupt um ein journalistisches Angebot handelt, fragte nun ein Beitrag von "MDR aktuell", in dem Hunger erläutert, warum sie keine Bühne mit Reichelt teilen will. Ein souveräner Umgang des Senders mit dem Thema – gehört der MDR doch zu den Mitveranstaltern der Medientage, die heute und morgen stattfinden.

Ein Galgen ist nicht gut fürs Image

Aufgewachsen im Schlosshof, im oberschwäbischen Waldsee, inmitten des schwarzen Dreiecks Adel–Kirche–CDU. Vater und Mutter beim Fürsten beschäftigt, Sohnemann stellvertretender Oberministrant: Das prägt und schärft den Blick. Entsprechend gut vorbereitet war Josef-Otto Freudenreich, als er der Geschichte eines Feldkreuzes nachspürte, das sich als Mahnmal für die Galgen der Fürsten von Waldburg-Zeil herausstellte (Dank an dieser Stelle dem Esslinger Lehrer, der den Hinweis von einer Wanderung mitgebracht hat). Obwohl kaum fünf Kilometer vom prächtigen Schloss Zeil entfernt, verfällt das Kreuz von Jahr zu Jahr mehr. "Interessant, wie der Adel mit seiner Geschichte umgeht", sagt Freudenreich: "Als Henker will man nicht gesehen werden." Dagegen wehren sich jetzt Menschen aus der Nachbarschaft. Als nächstes Kapitel in Kontext soll der "Bauernjörg" folgen, der den Aufstand der Bauern vor 500 Jahren blutig niedergeschlagen hat. Der Feldherr ist im Waldseer Schloss geboren und in der Kirche des ehemaligen Messdieners begraben.

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1 Kommentar verfügbar

  • Jue.So Jürgen Sojka
    am 18.04.2024
    Antworten
    Bei kommenden Wahlen wird wohl, wie eh und je, das Gedrängel in der MITTE zum auf die Zehen treten führen – jedenfalls für jene, die raumgreifend "Platzhirsch" sein wollen. [Fn_1]
    Bedeutend besonders für die, die rechts von sich keine haben wollen, schon immer von _ihnen_ beansprucht, der Platz in…
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