Wie viel Menschenverachtung in einen Satz passt, demonstriert die Identitäre Bewegung nicht erst seit gestern: "Wenn man länger lebt, als man nützlich ist", kommentierte einer ihrer führenden Aktivisten 2018, als sich in Österreich gerade die "Omas gegen Rechts" gegründet hatten. Das brachte Anna Ohnweiler so in Rage, dass sie auch in Deutschland einen Ableger der Organisation gründete. Angefangen hat es mit einer Facebook-Seite. Heute sind bundesweit über 20.000 Großmütter organisiert aktiv gegen völkische Umtriebe.
Ohnweiler, heute 73, ist gerade permanent auf Achse, besucht viele der Demonstrationen, die im ganzen Land aufploppen, seitdem "Correctiv" über ein rechtsextremes Treffen berichtete, auf dem unter AfD-Beteiligung über die millionenfache Deportation von Ausländern und Flüchtlingshelfer:innen diskutiert wurde. Die Oma bringt sich ein, schreibt Reden und ruft auf zu einer Kundgebung am 25. Februar in ihrem Wohnort Nagold. "Beim Ordnungsamt ist sie schon angemeldet", teilt sie unserer Redaktion mit. Und schreibt weiter: "Am 4. Februar findet eine Kundgebung in Nagold statt, welche der Oberbürgermeister kurzfristig initiiert hat. Ich werde auch dort das Wort ergreifen und Klartext reden, wie am 27. Januar 2024 in Mössingen." Am Wochenende zuvor stand sie in Herrenberg am Mikrophon. Dann sagt sie Dinge wie: "Höcke ist ein Rassist, ein Faschist und Nazi."
Ihrem Eindruck nach kommt der Klartext gut an. "Die meisten Menschen wollen keine weichgespülten Reden." Aber sie befürchtet, dass es am kommenden Sonntag in Nagold wieder so kommt: "Man versucht, den Rechtsextremismus zu relativieren, indem in einem Atemzug auch Linksextremismus genannt wird." Der spiele gerade aber keine Rolle, ärgert sie sich. Jetzt geht es um die AfD und Höcke und die greifbare Gefahr, die wieder vom Faschismus ausgeht.
Weil viele diese Gefahr erkannt haben, sind in den vergangenen Wochen Hunderttausende auf den Straßen der Republik unterwegs gewesen. Doch CDU-Chef Friedrich Merz meint immer noch, "die Nazi-Keule, die bringt uns nicht weiter" und warnt in Bezug auf die AfD vor Pauschalisierungen. Auch sein Parteifreund, der Stuttgarter Oberbürgermeister Frank Nopper, präsentiert sich als Bilderbuch-Weichspüler. Am Wochenende stand er bei "Pulse of Europe" auf der Bühne und verniedlichte die Deportationskonferenz als "das konspirative Treffen von Potsdam". Zuvor hatte er in sozialen Netzwerken auf eine gemeinsame Resolution von Oberbürgermeister:innen aus der Region hingewiesen, "mit der wir uns gegen jegliche Form von Extremismus stellen".
Trotz dornröschenschnarchnasiger Individuen warnen wir bei Kontext allerdings davor, die CDU zu pauschalisieren. Die Bündnisse können in dieser Zeit gar nicht breit genug sein, und wenn sich die Union bei Kundgebungen gegen die rechte Bedrohung einbringen möchte, ist das zuallererst erfreulich. In Baden-Württemberg lässt sich das gerade auch vielfach beobachten. Sonderbar ist dabei nur, dass die CDU, deren Mitglieder nicht selten an der Verharmlosung von AfD-Positionen mitwirken und sich teils durchaus eine Zusammenarbeit mit der von Rechtsextremen durchsetzten Partei vorstellen können, auf vielen Demos im Südwesten lieber gesehen ist als die Antifa. Deren Teilnahme ist häufig unerwünscht, da die ja gewaltbereit und damit ausgeladen sei, erzählt auch manch eine Grüne oder manch ein SPDler.
Aber die Gewalt-Keule, die bringt uns nicht weiter. Die Militanz einiger Aktivist:innen ist sicherlich ein Problem. Aber in der Breite leisten antifaschistische Gruppen seit Jahren die beharrlichste Arbeit gegen rechtsextreme Aktivitäten, von kurzfristig anberaumten Demos, wenn Nazis wieder morden, bis zum akribisch recherchierten Dossier über faschistische Netzwerke. Da loben wir uns die Klartext-Omas. Die stellten jüngst auf ihrer Website klar: "Antifaschismus bleibt notwendig."
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