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Menschenrechte radikal

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Als wir für unsere Spendenkampagne diese Woche im Archiv gekramt haben, wer uns schon alles juristisch belangt hat, sind wir auf eine Perle der Vergangenheit gestoßen: Im Oktober 2013 haben wir darüber berichtet, dass die Bahn gegen die "Stuttgarter Zeitung" prozessiert – wegen angeblich "falscher Tatsachenbehauptungen in Sachen Tiefbahnhof". Stein des Anstoßes: Im StZ-Artikel stand, Stuttgart 21 würde nicht 2021 fertig, sondern erst 2022. Das Ganze ging tatsächlich vor Gericht, nachzulesen hier, hier, hier und hier.

Da schauen wir doch mit dem einen Auge mal auf die ewige Stuttgart-21-Baustelle in Stuttgarts Mitte und lassen das andere derweil geschmeidig über den Kalender gleiten. Der sagt aktuell "November 2023" und demnächst schon das Jahr 2024 voraus. Ja heidenei. Und es ist aktuell nicht einmal sachte dran zu denken, dass im Tiefbahnhof Züge fahren. Nicht mal mehr drumherum fahren sie anständig. Der ÖPNV in und weiträumig um die Landeshauptstadt Stuttgart liegt röchelnd und zuckend darnieder. Und das nicht wegen einer streikenden Gewerkschaft (GDL), sondern wegen zu vieler Jahre Bundespolitik ohne Interesse an Gleisen, Weichen oder Zügen. Und auch wegen dieses Lochs in Stuttgart, dessen tatsächliche Inbetriebnahme die Bahn aktuell auf das Jahr 2025 terminiert. Wir sagen mit einem charmanten Lächeln: 2026. Mindestens.

Was dagegen bestens funktioniert ist Hetze gegen Geflüchtete. "Es kostet jeden Morgen mehr Überwindung, Nachrichten zur Migrationspolitik zu hören und zu lesen", schreiben unsere beiden Gastautorinnen, die Leiterinnen der Geschäftsstelle des Flüchtlingsrats Baden-Württemberg. "Wir sind schockiert darüber, wie gedankenlos und ohne Skrupel derzeit rhetorische Elemente reproduziert werden, die wir eigentlich bei der AfD verortet hätten, und mit welcher Geschwindigkeit sich das Spektrum des Sagbaren ausweitet." Mittlerweile, meinen die beiden, würden bereits Forderungen nach dem Einhalten von Grund- und Menschenrechten als radikal wahrgenommen.

Mit schuld daran ist vor allem die CDU. Auf dem Parteitag der Südwest-CDU am vergangenen Wochenende in Reutlingen verstiegen sich die Schwarzen sogar dazu, das individuelle Asylrecht abzuschaffen. Mit dabei: der unerklärlich reiche (eine Million Jahreseinkommen – wofür eigentlich?) Parteichef Friedrich Merz, der erst kürzlich davon fantasierte, dass sich (nicht reiche) Migranten in Deutschland "die Zähne neu machen" ließen. In Reutlingen wollen die politisch Schwarzen sich vor allem für "die Normalen" einsetzen, wer immer die sein mögen. Auch das ist AfD-Sprech – die rechtsradikale Partei setzt sich bekanntlich ein für ein "Deutschland. Aber normal".

Was passieren kann, wenn ein rechtsextremer Verschwörungstheoretiker Waffen besitzt, zeigt der Fall von Ingo K. aus Bobstadt. Mehr als 40 Schüsse hat K. abgegeben, nachdem das SEK den Rollladen seiner Terrassentür zerschnitten hatte, um in die Wohnung des Reichsbürgers zu gelangen. Ein wahrer "Kugelhagel" sei das gewesen, befand der Richter und verurteilte den Mann zu 14 Jahren und sechs Monaten Gefängnis. Unser Autor Timo Büchner war an jedem Prozesstag im Gericht und fragt sich unter anderem: Wo hatte K. überhaupt die ganzen Waffen her?

Büchner, der seit vielen Jahren vor allem über Nazi-Umtriebe schreibt, hat derzeit selbst einiges zu tun mit der Justiz. Vor Kurzem hatte ein bayerischer Zollbeamter Büchners gesperrte Privatadresse an einen gewaltbereiten Neonazi weitergegeben. Mittlerweile ist der Mann vom Zoll zu einer Strafe von 90 Tagessätzen verurteilt. Bei 91 wäre er vorbestraft gewesen. Seinen Job macht er weiter. Das Verfahren wegen Anstiftung gegen den Neonazi wurde eingestellt.


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